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Donnerstag, 9. Februar 2012

Bürgerrechte - ad ACTA!

Wie sich alles fügt...

Der geneigte Leser mag sich jetzt einmal entspannt zurücklehnen, die Augen leicht schließen - nicht ganz jedoch, sonst klappt es mit dem Lesen nicht mehr - und sich folgendes Szenario im Geiste bildlich zu Gesichte führen.
Vorher aber noch Popcorn bereitstellen, es folgt ganz großes Kino:




B. - nennen wir ihn einmal so, obwohl ER auch eine SIE sein könnte - verbringt schon sein halbes Leben als Angestellter eines großen Unternehmens, welches weltweit führend in der Nahrungsmittelproduktion ist. Er arbeitet dort in der Qualitätskontrolle und ist hauptsächlich damit betraut, Sorge dafür zu tragen, dass Frühstücksflocken knusprig und Sahnesoßen sämig sind.
In seiner Freizeit ist B. sportlich. Er spielt Tischtennis in einem örtlichen Verein, in dessen Vorstand er sich nebendem noch als Kassenwart engagiert, ehrenamtlich versteht sich.
Seine Familie, die über das Land verstreut lebt, bedeutet B. alles - er hält daher über alle verfügbaren Medien stets gerne Verbindung mit allen Verwandten und gehört an jedem Geburtstag eines Familienmitgliedes zu den ersten Gratulanten.

Zum Geburtstag seiner Mutter hat er sich dieses Jahr besondere Mühe bereitet und eine animierte Grußkarte mit einer neu gekauften Software selber entworfen. Alte Fotos und Zeichnungen aus seiner und der Kindheit seiner Mutter stellen Elemente der Animation dar, welche in einem bunten Reigen und schneller Abfolge einen Exkurs durch Muttis Leben und die Entwicklung ihres Abkömmlings aufzeigt.

Untermalt hat er das ganze mit einer .mp3 Datei aus seiner digitalen Musiksammlung - "Happy Birthday" von Stevie Wonder.
Stevie ist Mutters Lieblingsinterpret.
Man muss anhand des vorbildlichen Lebenswandels B.s nicht gesondert erwähnen, dass dieser Titel - wie die gesammte Musiksammlung - legal über verschiedene Downloadangebote erworben wurde.
Das versteht sich von selber.

Donnerstag nacht, kurz vor zwölf.
B. hat seine Arbeit an der Geburtstagskarte fertiggestellt und wartet nun auf Punkt Mitternacht, damit sein Gruß das Erste ist, was sich morgen früh in Mutters elektronischem Briefkasten findet. Noch schnell ein Blick auf ein paar Details der Animation; ist die Bildfolge auch wirklich dem Takt der Musik angepasst?
Wie zu erwarten, findet er nichts zu bemängeln - der Sekundenzeiger der Uhr rückt auf die 12 vor - ein kurzer Klick in seinem Mailprogramm und Mamas Geburtstagsgruß macht sich auf die Reise.

Gerade will B. sich ausloggen und den Browser schließen, um ins Bett zu gehen - da erscheint das optische Signal für den Eingang einer neuen Email.

Schockschwerenot, was kann das jetzt sein? Er hat sich doch hoffentlich nicht bei der Eingabe der Email-Adresse seiner Mutter vertippt und bekommt jetzt die Benachrichtigung, dass der Empfänger nicht existiert?

Tatsächlich ist der Absender der Mail offensichtlich sein Email-Service Provider:

Sehr geehrter B. 
Sie haben soeben Inhalte, die dem Urheberrecht unterliegen, als Anhang einer Email zu versenden versucht. 
Gemäß internationaler Bestimmungen sind wir gehalten, das Versenden solcher Inhalte zu unterbinden, sowie den Vorgang inklusive sämtlicher diesbezüglicher Beweismittel an die Ermittlungsbehörden des Landes weiterzuleiten, in dem sich Ihr Wohnsitz befindet.
Entsprechend der in Ihrem Land geltenden Gesetze werden die Behörden sich in Kürze mit Ihnen in Verbindung setzen. 
Ihren Email Account haben wir vorläufig gegen Eingriffe Ihrerseits gesperrt, um die Ermittlungen der Behörden auf Anfrage unterstützen zu können. Eingehende Email bekommen Sie natürlich weiterhin zugestellt, Sie haben selbstverständlich auch Leseberechtigung. 
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Email Team

Ungläubigen Blickes starrt B. auf die Zeilen auf seinem Monitor.
Das kann doch wohl nur ein Scherz sein!
Urheberrechtlich geschützte Inhalte?
Er hat den Song doch gekauft - und nur um den kann es sich hierbei wohl handeln - was er anhand der iTunes Rechnung jederzeit nachweisen kann. Sowas muss man doch verschenken dürfen, bei einer CD geht das doch auch?
Und überhaupt, seit wann liest denn ein Provider versendete Emails?
Dürfen die das?

Während er noch hektisch hin und her überlegt, nimmt er den Eingang einer weiteren Email wahr:

Bundeskriminalamt
SK ACTA
Wiesbaden 
Sehr geehrter B. 
Aufgrund einer Benachrichtung Ihres Email Service Providers bezüglich eines Verstoßes gegen das Urheberrecht haben wir gemäß rechtlicher Vorschriften, die Ihnen im Einzelnen noch erläutert werden, Ermittlungen gegen Sie eingeleitet.
Beamte der Kriminalpolizei werden Sie in Kürze in Ihren Räumen aufsuchen. 
Hochachtungsvoll
Ihre Kriminalpolizei

Voller Entsetzen versucht B. zu erfassen, was ihm da soeben mitgeteilt wird.
Kriminalpolizei, Ermittlungen - das muss doch ein schrecklicher Irrtum sein.
Gedanken rasen ihm durch den Kopf:
"Ein Anwalt - ich brauche einen Anwalt!"
Gleich morgen Früh muss er unbedingt mit einem Anwalt Kontakt aufnehmen, wobei - bis dann hat sich diese schreckliche Geschichte bestimmt schon als misslungener Scherz der Vereinskameraden entpuppt.

Plötzlich nimmt er entstehende Unruhe im Hausflur, draußen vor der Wohnungstür wahr.
Es klingelt, gleichzeitig klopft jemand schwer gegen das Türblatt.

"Aufmachen! Polizei!"

Sein Blick fliegt panisch zum geöffneten Fenster, sein Körper spannt sich unwillkürlich zum Sprung...


So!
Augen wieder aufmachen!

Woran erinnert uns das?
Der filmbewanderte Leser wird nun laut ausrufen:
"Ha! 1984! Ein typisches Orwell Szenario!"
Das sollte man eigentlich glauben, ja.
Tatsächlich jedoch heiße ich euch in einer nicht allzu fernen Zukunft willkommen, nicht ohne dafür ein wenig in die nähere Vergangenheit ausholen zu müssen.

Wir schreiben das Jahr 2006.
Amerikanische und japanische Unternehmens- und Regierungsvertreter setzen sich am Rande des G8 Gipfels in St. Petersburg zu ersten Gesprächen über ein Projekt zusammen, welches im weiteren Verlauf Marken- und Rechteinhaber vor Fälschungen minderer Qualität und dem Missbrauch von Markenzeichen schützen soll. An und für sich also etwas gutes, denn schließlich möchte jeder der ein teures Markenprodukt kauft, auch sicher sein keine billige Fälschung angedreht zu bekommen.
Um den Schutz so umfassend wie möglich zu gestalten, wird der Vereinfachung halber auch durch Urheberrecht geschütztes in die Verhandlungen mit eingenommen.
ACTA (Anti Counterfeiting Trade Agreement) wird geboren.

Im Jahre 2008 liegen Ergebnisse vor, weitere Nationen und Staatenbünde (die komplette EU, Kanada, Jordanien, Mexiko, Marrokko, Australien, die Schweiz, Neuseeland, Südkorea, Singapur und die Vereinigten Arabischen Emirate) haben sich dem Programm mittlerweile angeschlossen. Als erster Schritt in die gewünschte Richtung wird  bereits länger schon gefordert, die jeweilige Landesgesetzgebung in Bezug auf Urheberrechtsverletzungen und Markenpiraterie zu verschärfen und dafür Privatrecht in Strafrecht umzuwandeln, da es privatrechtlich keine Handhabe gibt, den privaten Datenaustausch der Fälscher und Urheberrechtsverletzer unter Kontrolle zu bekommen. Unter diesem Einfluss wird beispielsweise das deutsche Urheberrecht - welches in seiner bis Dato gültigen Form noch aus dem Jahre 1932 stammte - im Jahre 2007 umfassend renoviert.

Da alle Gespräche betreffend des "Handelsabkommens" im Geheimen geführt werden, dringt nichts an die Öffentlichkeit - bis im Jahre 2010, nachdem in den jeweiligen Gesprächsrunden der volle Umfang der geforderten Maßnahmen den Beteiligten eröffnet wird, die Vereinigten Arabischen Emirate und Jordanien aus dem Programm aussteigen. Langsam sickert nun an die Öffentlichkeit, was ACTA wirklich bedeutet.

Zur Vermeidung der Verteilung von urheberechtlich Geschützten Inhalten (es geht hier natürlich vor allem um die Inhalte, deren Rechte bei entsprechenden Lobbyisten liegen) sollen vor allem die Internet Service Provider herangenommen werden. Ein Internet Service Provider wäre damit zukünftig für alles in vollem Umfang verantwortlich, was seine Kunden so verzapfen.
Gleichzeitig wird der entsprechende Provider gesetzlich dazu ermächtigt, sämtlichen Internetverkehr seiner Kunden umfassend zu überwachen, um rechtzeitig auf entsprechende Verstöße gegen durch ACTA abgedeckte Rechtsnormen aufmerksam zu werden - denn nur so lässt sich die haftung des Providers ausschließen.
Das Monitoring des Providers muss sich dabei sowohl auf den Traffic des Nutzers beziehen - Download, Upload, besuchte Webseiten, Nachrichtenverkehr via Instant Messenger - als auch auf seinen Emailverkehr.

Geht nicht, sagt da jemand?

Wer einen Webbasierten, werbefinanzierten Emaildienst benutzt, möge sich bitte einmal die Werbeanzeigen, welche seinen Emailverkehr begleiten, anschauen. Ist es nicht seltsam, dass die Werbeaussage in Anzeigen sich sehr häufig in irgendeiner Form auf den Inhalt der gerade geöffneten Email bezieht?

Geht wohl.

Gemäß ACTA müssen also nun diese Funktionen dazu genutzt werden, nicht nur Werbung Zielgruppengerecht im Kontext zu organisieren - sondern den gesamten Datenverkehr des Nutzers komplett auf urheberrechtlich geschütztes Material zu scannen.
Nicht nur bei den Nutzern, die tatsächlich gegen geltendes Recht verstoßen - nein, um diese herauszufiltern, müssen sämtliche Nutzer überwacht werden. Prophylaktisch, sozusagen.

Wer also einen Internetanschluss bei Provider X bestellt, macht sich in Zukunft pauschalverdächtig gegen Gesetze zu verstoßen und wird der Grundrechte auf den Schutz der Privatsphäre und des Post- und Telekommunikations-
geheimnisses beraubt.
Punkt.

"Ja, aber!" schreit der empörte Leser dieser Zeilen voller Inbrunst auf: "Das sind doch Rechte, die mir verfassungsgemäß zustehen."

ACTA ist ein internationales Abkommen auf völkerrechtlicher Ebene.
Internationales Recht bricht nationales Recht.
Auch Grundrecht...

Hier wird das ganze mal im Detail erklärt:



A brave new world - mal so gesehen.
© Michael Pils






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