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Dienstag, 24. Januar 2012

Der Wulff im Schafspelz - oder?

Aah - endlich!

Endlich meldet auch der Hobbyrevoluzzer sich in Sachen Affäre Wulff zu Worte.
Hat ja lange genug gedauert - wird der geneigte Leser sich jetzt sagen.

Ja, und das hat auch guten Grund.
Man kann ja mit vielen Sachen so seine Scherzchen treiben und sich über den allgemeinen Untergang des Abendlandes amüsieren - das Theater ist nun eh nicht mehr aufzuhalten. Doch bei Dingen, die so tiefgreifend wichtig sind, wie der Verrat an der Demokratie, der zur Zeit durch eine immer mehr ins absurde getriebene Vorführung der immerhin ersten Person dieses Landes vollführt wird, denke ich lieber erstmal nach. Und zwar gründlich...

Ein Wort vorweg:

Ich war lange kein Freund von Christian Wulff.
Seine Wahl zum Bundespräsidenten wäre nicht die meine gewesen.
Als Berufspolitiker, der als ehemaliger Ministerpräsident des Landes Niedersachsen tief verstrickt in die inzwischen sagenhafte "Hannover Connection" war, überrascht mich eigentlich, dass die jetzt gegen ihn erhobenen Vorwürfe von so harmloser Natur sind.
Einem ehemaligen Spezi von AWD Gründer Carsten Maschmeyer hätte ich doch ein wenig mehr kriminelle Energie zugetraut.

Ich bin aber auch ein Vertreter des Glaubens an Schillers Weisheit "Es wächst der Mensch mit seinen größeren Zielen" (heute gern mit der Zote "Die Leber wächst an ihren Aufgaben" kolportiert, was in meinen Augen mindestens die gleiche Wahrheit enthält).

Die Aufgabe des Bundespräsidenten ist in diesem Kontext dann eben halt doch eine ganz andere Nummer, als den Regierenden in einem Bundesland zu mimen.
Ich möchte kurz erläutern, wo für mich der Unterschied liegt:

Der Ministerpräsident eines Bundeslandes ist so etwas wie der Bundeskanzler für Arme.
Er regiert. Man könnte mit anderen Worten auch sagen, er macht Geschäfte. Seine Aufgabe ist es, zuzusehen, dass es dem Land nach Möglichkeit gut geht. Finanziell, vornehmlich. Dafür baut er Kontakte zu Industrie und Wirtschaft auf, die dann, bitte sehr, Arbeitsplätze schaffen und Gewerbesteuer abführen. Nur nicht zuviel halt. Desweiteren sorgt er für eine Zuwanderung an Arbeitskräften, die dann Kommunalsteuern abführen.
Für die wirtschaftlich Mächtigen ist er ein guter Freund, für die Staatsbürger eine Vaterfigur - und fertig ist die Kiste; die Wiederwahl ist garantiert, solange das geschieht was die Geldgeber in diesem Spiel geschehen lassen wollen.

Jeder, der mal Sim-City gespielt hat, kennt das.

Der Bundespräsident hat es da schwerer. Er muss Vaterfigur sein, darf aber nicht den besten Freund der Wirtschaft spielen - der Präsident hält nämlich in unserem Staate den Widerpart zum Kanzler: Er hat die Aufgabe, der Regierung und ihrem Handeln auf die Finger zu schauen.
So überraschend das für viele sein mag: Der Bundespräsident ist nicht nur gemäß des Kennzeichens seines Dienstwagen die Nummer eins des Staates (des Staatsvolkes), sondern hat diese Aufgabe - neben Männchen bauen für andere Präsidenten und Händeschütteln bei Staatsempfängen - tatsächlich inne.
Kein Gesetz, das im Parlament verabschiedet wird, erlangt ohne die Genehmigung des Bundespräsidenten Gültigkeit. Er entscheidet darüber, ist sozusagen die letzte, und oberste, Instanz.

So!

Christian Wulff also hat sich als Ministerpräsident das eine oder andere geleistet. Einen Privatkredit bei befreundeten Unternehmern, mal den einen oder anderen kostenfreien Urlaub im Haus von (Geschäfts-)Freunden, einen Amigo-Upgrade bei dem einen oder anderen Flug.

Das sind ja nun alles Dinge, die unter dem Aspekt der Schweinereien, die ein Herr Kohl, ein Gerhard Schröder, oder - um es mal ins Extreme zu treiben - ein Josef Strauss im Amte so gerissen haben - sagen wir mal - Kavaliersdelikte sind. Er hat sich nicht strafbar gemacht, und sich auch am Bürger keine goldene Nase verdient.

Hm...

Heinrich Lübke, der zweite deutsche Bundespräsident (1959 - 1969), war von 1937 bis 1945 Mitglied der NSDAP und hat als Bauleiter unter Hitlers Leib- und Magenarchitekt Albert Speer an fragwürdigen Objekten gearbeitet. Nach dem allgemeinen Zusammenbruch wechselte er dann zur CDU - was ich hier nicht weiter kommentieren möchte.
Heinrich Lübke war ein sehr beliebter Bundespräsident, über volle zwei Amtsperioden.

Der vierte deutsche Bundespräsident, Walter Scheel (1974 - 1979), hatte nicht das Glück, nicht nach seiner Vergangenheit befragt zu werden. Also log er über seine Mitgliedschaft in der Partei der Nationalsozialisten. Aber nicht darüber stolperte er in der Folge seiner Amtszeit - nein, er scheiterte daran, dass er sich weigerte, ein Gesetz zur Abschaffung der Gewissensprüfung für Wehrdienstverweigerer zu unterschreiben. Infolge der sich daraufhin ändernden Mehrheitsverhältnisse zu seinen Ungunsten, verzichtete er wohlweislich auf eine weitere Kandidatur.

Damals hat sich die "Bild" - ja, die gab es da schon - nicht beschwert, das ehemalige Nazis den obersten Posten des Landes belegen. Gut, fraglich ist, ob sie das heute tun würde.
Kommunisten, das wär natürlich was anderes...

Was hat Wulff denn nun getan, was schlimmer wiegt als ungeklärte Korruptionsfälle der Regierung Kohl, als Seilschaften mit russischen Investoren à la Schröder, schlimmer sogar als ehemals "Sieg Heil" schreiende Vorgänger - und schlimmer noch, als Kommunist zu sein?

Er wurde unbequem!

24. August 2011.
Christian Wulff, der Kronprinz Angela Merkels - ihr absoluter Wunschkandidat - hält eine Rede anlässlich der vierten Tagung der Wirtschaftsnobelpreisträger. Entsetzt nimmt die deutsche Politik folgendes zur Kenntniss:

Wir haben weder die Ursachen der Krise beseitigt, noch können wir sagen "Gefahr erkannt, Gefahr gebannt".
Erst haben einzelne Banken andere Banken gerettet, dann haben Staaten vor allem ihre Banken gerettet, jetzt rettet die Staatengemeinschaft einzelne Staaten. Da ist die Frage nicht unbillig:
"Wer rettet am Ende die Retter? Wann werden aufgelaufene Defizite auf wen verteilt?"
(Zitat Christian Wulff 24.08.2011)

Schockschwerenot!
Der Bundespräsident redet davon - als die Bundesregierung behauptet die Krise sei unter Kontrolle - das überhaupt nichts unter Kontrolle ist und stellt die Fragen, die jedem normal denkenden Menschen im Kopfe herumgehen.

Das muss wohl der auslösende Punkt gewesen sein, den Bundespräsidenten zum Abschuss freizugeben!

Vor allem, da vorher schon in einem Interview mit der "Zeit" folgendes zu lesen war:

Die Versündigung an der jungen Generation muss ein Ende haben. Wir brauchen stattdessen ein Bündnis mit der jungen Generation. Ich verstehe die Empörung vieler Menschen: Es sind ihre Zukunftschancen, die hier auf dem Spiel stehen.
Politik muss ihre Handlungsfähigkeit zurückgewinnen. Sie muss sich davon lösen, hektisch auf jeden Kursrutsch an der Börse zu reagieren. Sie darf sich nicht abhängig fühlen und sich am Nasenring durch die Manege führen lassen von Banken, von Rating Agenturen und von sprunghaften Medien.

Achdumeinegüte!
Er hat "Jehova" gesagt!
Und fährt fort:

Sowohl beim Euro, als auch bei Fragen der Energiewende wird das Parlament nicht als Herz der Demokratie gestärkt und empfunden.

Was sich darin äußere,

...das heute zu viel in kleinen "Entscheider-Runden" vorgegeben wird, was dann von den Parlamenten abgesegnet werden soll.
[...]
Darin sehe ich eine Aushöhlung des Parlamentarismus.

...und

...damit schwindet die Grundlage für Vertrauen, fehlt die Transparenz und Teilhabe für Bürger und Parlamentarier. Ich erlebe, das Politikverdrossenheit heute eine Ausweitung erfährt: Nicht nur von Bürgern gegenüber Politikern. Inzwischen sind Politikerinnen und Politiker verdrossen, verdrossen über ihre eigene Tätigkeit und ihre Rolle, die ihnen noch zukommt, verdrossen über ihren schwindenden Einfluss.
(Abschriften aus einer mir vorliegenden Ausgabe o.g. Tageszeitung)

Wer sich obenstehendes mal genau durchliest und die offen und unverholen vorgetragene Kritik an der derzeitig herrschenden Politik im Lande versteht - dem wird ganz schnell klar, warum um mehrere Jahre alte Vorgänge nunmehr eine solch widerwärtige und menschenverachtende Hetzjagd veranstaltet wird, von Freunden und Kollegen Wulffs nun nicht mehr zurückgehaltende auflagengeile Medien das höchste Amt im Staate buchstäblich zerfleischen, auf ekelhafteste Art und Weise quer durch alle Parteien unterstützt.

Die Hunde jagen den Wulff, von den Jägern angetrieben.
Werden sie ihn stellen und erlegen?
Oder stellen sich die Anwohner des Jagdreviers den Jägern entgegen und rufen:

"Stopp! Schluss mit diesem Unsinn!"

Christian Wulff ist ein Hallodri gewesen - und zweifelsohne hat er dem Amt des Präsidenten geschadet.
Doch was hier und jetzt vor sich geht, verursacht viel größeren Schaden.

Mal so gesehen...

© Michael Pils



3 Kommentare:

  1. Einmal danke das du jetzt geschrieben hast, was ich nicht konnte.
    Zum anderen selbst wenn Wulff Geschichte ist, so ist das nur die Spitze des Eisbergs von dem was einmal kommen wird.

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  2. Mal sehen...

    In ein paar Wochen erinnert sich kaum noch jemand an das alles. Dafür ist unsere Zeit viel zu kurzlebig - wir haben gar nicht mehr die Zeit, uns mit den Dingen ausgiebig zu beschäftigen. Wir müssen weiter, weiter, weiter...

    Wer erinnert sich beispielsweise noch an Horst Köhler?
    Wer war das gleich nochmal?

    Deutschland sucht den Superstar, unser Star für Baku, The Voice of Germany, das Dschungelcamp - diese Dinge sind doch viel wichtiger.

    Und ich verrate dir auch, warum das tatsächlich so ist:

    Wer Präsident wird, das kann der Bürger nicht entscheiden.
    Aber die o.g. Sendungen - da habe ich als Bürger die Wahl, da kann ich Einfluss nehmen, bequem aus dem Fernsehsessel heraus. Das ist Basisdemokratie ohne mich anzustrengen.

    Wirkliche Freiheit ist viel zu anstrengend...

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  3. Deswegen können sie es noch weiter treiben, da es in ein paar Monaten Geschichte sein wird und keiner sich mehr daran erinnern möchte.
    Die Art und Weise wie dies geschieht wird auch auf Grund der Medien noch schlimmer, weil man durch das Internet den Bürger glauben lassen möchte das er ein Mitspracherecht hat oder das eine Tranzparens besteht.
    Das diese ganzen Dinge aber schon beschlossen im Safe liegen, kann so wundervoll überspielt werden und der gemeine Bürger ist ja schön abgelenkt von dem eigentlichen Geschehen in unserer Republik.
    Ebenso ist es doch auch bei diesen Ganzen Shows bei der sie denken das der Zuschauer das Geschehen bestimmt oder meinst du nicht auch das die Gewinner schon feststehen?
    Also in meinen Augen will man uns in all diesen Dinge und mit all der Zerstreuung und Ablenkung nur zum Narren halten.
    Für mich war die Wulff Geschichte nur eine Frage der Zeit.

    PS: Für mich persönlich waren die letzten zwei Tage hier sehr erkenntnisreich und haben in Entdeckungen und dem hier sehr unliebsamen Schreiben für sehr viel Klarheit bei mir gesorgt.
    Auch wenn ich jetzt für ein weiteres Projekt wieder vor einem Rätsel stehe, so bin ich dennoch sehr dankbar dafür, denn auch hier für werde ich irgendwann noch die wirkliche Lösung finden, mit der ich reinen Gewissens auch arbeiten und leben kann. ;) Dazu aber an anderer Stelle mal mehr.

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