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Freitag, 21. Oktober 2011

Neulich, viertel vor 11 im Bundeskanzleramt


Stille...

Eine der letzten Fliegen des Sommers zieht leise brummend ihre Kreise über die Köpfe der Elite unseres Landes. Leise gluckernd schenkt Frau Merkel sich ein halbes Glas Mineralwasser nach.
Evian.
Nur vom besten für die besten.

In seiner aus dem Fenster schauenden Kontemplation durch das leise Kratzen von Fingernägeln über die mittaglichen Bartstoppeln Herrn Schäubles gestört, wirft Phillip Rösler einen ärgerlichen Blick in die Runde.
Gelangweilt quittiert Anette Schavan sowohl das eine, als auch das andere mit dem Anflug eines Gähnens.

Schäuble, der alte Prolet...

"So geht das nicht weiter, Kolleginnen und Kollegen!" erhebt Rösler endlich die Stimme. "Wie sollen wir mit dieser Anweisung von oben..." - schnell wirft er einen Blick zur Kohlensäurebläschen zählenden Kanzlerin - "...Ich meine, mit der Bitte des Bankenkonsortiums, die Bürger von diesen unangenehmen Geschichten rund um die finanzielle Lage abzulenken, umgehen?"
"Ja, was sollen wir tun?" fragt Frau von der Leyen mit halbwegs interessiertem Augenaufschlag.
"Totschweigen wird nicht ewig funktionieren", wagt Kristina Schröder in die Runde zu werfen, "die Leute sind ja nicht blöd."

Spöttische Blicke von allen Seiten dreschen wie Knüppel auf sie ein. Dummes, junges Ding - was weißt du denn?

Mit selbstsicherer Langsamkeit bringt Angela Merkel sich in eine aufrechte Position, den Blick bedauernd von den immer noch im Glas aufsteigenden Gasperlen abwendend: "Einer muss den schwarzen Peter nehmen." Fast flüsternd, in aufreizend dominanten Ton macht sie sich vernehmbar.

Plötzlich herrscht gespannte Aufmerksamkeit im Raum. Die Cheffin hat offensichtlich etwas beschlossen, sie wird den Karren aus dem Dreck fahren. Jeder hat ihr das zugetraut; man hat geradezu auf den entscheidenden Moment gewartet.

"Ramsauer", spricht sie den amtierenden Verkehrsminister direkt an, den Blick fest und entschieden auf selbigen gerichtet, "wie läuft denn alles so im Verkehrsministerium, hm?"
Vor Nervosität erschauernd antwortet der soeben erwählte: "Danke, gut soweit. wir liegen im Budget, die Verkehrswege sind in einem guten Zustand, die Maut wird akzeptiert und den Rest können wir auf die Bahn abschieben, die macht sich gern unbeliebt derzeit. Es ist alles im grünen Bereich, würde ich sagen - ohne jetzt genaue Zahlen im Kopf zu haben."

"Eben".
Frau Merkel lässt ein Lächeln aufblitzen. Kaum merkbar und nur von Eingeweihten zu deuten.
"Eben, eben, lieber Ramsauer. Sie sind recht beliebt geradezu, wie die Meinungsumfragen verlauten lassen, wie?"
"Nun, Frau Bundeskanzler, ich bin relativ neu im Amt. Ich hatte noch keine wirkliche Chance, mich unbeliebt zu machen", versucht er zu scherzen.

Doch das selbstironische Grinsen bleibt ihm im Halse stecken, als ihm klar wird, worauf das vermeintliche Lob seiner Cheffin hinausläuft.

"Sagen Sie", übergeht Merkel den naiven Scherz ihres Ministers mit einem freundlichen Lächeln, "wie stehts eigentlich um die Verkehrsunfallstatistiken, so ganz allgemein gesehen?"
"Oh, ich müsste mir die aktuellen Zahlen schnell kommen lassen", antwortet der Delinquent, "aber ganz im Allgemeinen haben wir eine Abnahme inbesondere der Unfälle mit Todesfolge, und zwar bei steigendem Verkehrsaufkommen." 
Nun glaubt er sich wieder sicher im Sattel, seine Miene entspannt sich sichtlich.

"Auch bei den Fahrradfahrern, Ramsauer?" flötet Merkel harmlos hinterfragend.
"Gerade dort, Frau Kanzler. Die Aufhebung der Benutzungspflicht für Radwege hat dafür gesorgt, dass Autofahrer nun eher auf Radfahrer aufpassen, offensichtlich."
"Ah ja. Sehr schön. Sagen Sie, gab es da Ende der 70er Jahre nicht mal die Diskussion um eine Einführung der Helmpflicht für Radfahrer?"
"Ja, gewiss, aber das war ja sozusagen ein Schuss in den Ofen. Neben der Tatsache, dass durch Studien erwiesen wurde, die Helmpflicht würde sich negativ auf die Bereitschaft mit dem Rad, statt dem Auto zu fahren auswirken, stellte sich durch diese Studien ebenfalls heraus, dass der Helm an sich in Bezug auf die Verletzungsstatistik eine völlig untergeordnete Rolle spielt. Außerdem war die Akzeptanz der Idee bei der Bevölkerung gleich null."
"Ach, sieh an..." Die letzten Worte seiner Ausführung hat die Kanzlerin mit einem geradezu begeisterten Gesichtsausdruck zur Kenntnis genommen. Ein würdevolles Gesicht aufsetzend richtet sie sich zu voller Größe auf.
"Damen und Herren Minister, ich bin der Meinung, wir müssen unsere radfahrenden Bürger vor dem Restrisiko des öffentlichen Straßenverkehrs dadurch bewahren, dass wir eine Helmpflicht gesetzlich verankern. Stimmen Sie mir da zu, Herr Ramsauer?"

"Nun, Frau Kanzler, die Unfallstatistiken..."
"Die Statistiken für dieses Jahr haben ja nun noch keinerlei Aussagewert. Das Jahr ist ja noch nicht zu Ende, nicht wahr? Herr Ramsauer?"
"Ja, äh..."
"Gut, dann wäre das ja geklärt. Schäuble, Sie nehmen Kontakt mit den Banken auf und berichten denen, Kollege Ramsauer hätte sich etwas einfallen lassen, um die Bürger zu beschäftigen. Herr Pofalla, Sie sorgen bitte dafür, dass die Medien gebührend Anteilnahme am Vorschlag des Kollegen nehmen und Sie, Frau Aigner, werden als Verbraucherschutzministerin schon mal eine entgegengesetzte Meinung verfassen, damit den Leuten klar wird, dass sie das Ganze Geld kostet. Abschließend möchte ich mich für die fruchtbare Zusammenarbeit mit allen Gremien bedanken und - Ramsauer", ein Zwinkern huscht der Kanzlerin über das Gesicht, "- ganz großes Kino, wirklich! Gute Arbeit, sehr mutig!"

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Natürlich habe ich tatsächlich absolut keine Ahnung, was neulich um viertel vor elf im Bundeskanzleramt passierte.
Vermutlich gar nichts.

Gut vorstellen kann ich mir die Szene aber schon.
Zumindest wäre es eine Erklärung dafür, wie ein Bundesminister in Zeiten wie diesen, wo uns so langsam aber sicher bewusst wird, dass das Wasser uns bereits bis zum Hals steht, auf einen solchen Dummfug kommt den Bürger dazu zu verdonnern, zukünftig mit Plastikhelmchen auf dem Kopf zur Arbeit zu Radeln.
Pleite zwar, aber immerhin mit geschütztem Kopf.

Danke, für die lustige Ablenkung vom alltäglichen Ruin, Herr Ramsauer - mal so gesehen.

©  Michael Pils